Xxl §. 7. Das Königreich Jerusalem und der dritte Kreuzzug. 403
das Gepränge, nicht die Tapferkeit und Gewalt ist es, welche das
Reich Gottes bringt, sondern die Umwandlung des Sinnes. Im
Königreich Jerusalem, wie hätte es auch anders sein sollen? war
nichts Anderes zu sehen, als die Wiederholung und Fortsetzung ganz
desselben sündlichen Lebens und Wesens, was in der abendländischen
Christenheit vor Augen lag. Ja, es war dort noch viel schlimmer.
Das südliche Klima, die asiatische Weichlichkeit und Genußsucht hatte
schnell auf die roheren und kräftigen Söhne des Nordens entnervend
und entsittlichend eingewirkt. Das heilige Land war ein Tummel-
platz der gemeinsten fleischlichen Lüfte geworden. Auf dem neuerrich-
teten stolzen Kirchenthron des Patriarchen von Jerusalem, bald auch
auf dem königlichen Stuhle der Hcrrscherfamilie, in Jerusalem wie
in Edeffa, Tyrus, Tripolis und Antiochien hatten Lasterhaftigkeit,
Lüge, Niederträchtigkeit aller Art ihren weithin sichtbaren Sitz aufge-
schlagen. Ueppige Wollust, schlaffe Trägheit, schändlicher Geiz,
unbändige Herrschsucht, das sind die Züge, welche die ganze dama-
lige Einwohnerschaft des heiligen Landes zur Schau trug. Selbst
ein christlicher Zeitgenosse schildert sie als Ungeheuer von Lastern,
deren Verworfenheit Niemand in ihrer ganzen Nacktheit für möglich
halten würde. Diesem verfaulten Christenstaat gegenüber hatte der
Herr eben jetzt einige der edelsten Erscheinungen des natürlichen
Menschen gestellt, nämlich ein Paar Mohamedaner, die nicht so sehr
von dem antichristischen Gift, alö von dem Rest des Gottcsodems,
der auch in dem jämmerlichen Trugwerk des Koran noch zu finden
ist, mit erfrischender Kraft berührt und angehaucht waren. Die bei-
den gerechten, milden, großherzigen Saracenenfürsten Nureddin und
nach ihm der noch größere Sala din traten zur Schande der Chri-
stenheit als Lichter hervor, welche die greuliche Nacht christlicher Ver-
worfenheit um so greller beleuchten. Voll Ekel wandten sich selbst die
gemeinen Saracenen hinweg von den elenden Streitigkeiten der christ-
lichen Fürsten, den noch schändlicheren der Patriarchen und Bischöfe,
die mit schamloser Oeffentlichkeit geführt wurden. Ja Kreuzfahrer,
angesehene Ritter, hochgestellte Geistliche verbanden sich oft genug
mit den Saracenen gegen ihre eignen Glaubensgenossen. Unglaube
und wahnwitziger Aberglaube, Völlerei und Unzucht und die peinlich-
sten Ceremonien des Gottesdienstes wurden in widerlicher Gemein-
schaft zur Schau getragen. Herrschsucht, Habsucht und Genußsucht
waren die Götter, denen Jedermann von Herzen diente. Ein solches
Reich, unter Greueln begonnen, unter Lastern sortgeführt, wie hätte
es bestehen sollen? Durch die Gunst der äußeren Verhältnisse, durch
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614 Xxv. §, 9. Deutschlands Elend, Schmach und Knechtschaft.
ein Vertheidigungskrieg ein gerechter Krieg sei, ein Vertheidigungs-
krieg aber erst da beginne, wo Preußen selber angegriffen werde.
Wir müssen die Gewissensstrenge des Monarchen ehren, wenn wir
auch sagen müssen, daß ein König allerdings verpflichtet ist, noch bei
viel anderen Gelegenheiten zur Vertheidigung das Schwert zu
ziehen, als wenn der Feind ihm schon in's Land rückt. Aber was
sollen wir nun weiter sagen? Nachdem es durch die starre Ruhe
Preußens dem arglistigen N ap oleon ein Leichtes geworden war, das
ganze südliche und westliche Deutschland sammt Oestreich zu über-
winden, und als nun Freund und Feind sich zu Tische setzte, um von
dem niedergeworfenen deutschen Reich sich die fettesten Bissen zu neh-
men, da — fand sich auch Preußen ein und begehrte stillen An-
theil am Mahl. Das war nämlich jene unselige Reichsdeputa-
tion mit ihrem sogenannten Ha up tschluß, durchweichen alle links-
rheinischen deutschen und etliche überalpische italienische Fürsten für
die Länder, welche ihnen Napoleon weggenommen, innerhalb der
geschmälerten Grenzen des deutschen Reichs entschädigt wurden. Die
Entschädigung wurde aber so zu Wege gebracht, daß alle noch übri-
gen reichsunmittelbaren Erzbisthümer, Bisthümer und Abteien, fast
alle Reichsstädte und Reichsdörfer eingezogen und in fremde Hände
gegeben wurden. Wer etwas und wie viel Jeder bekommen sollte,
das bestimmte aber keineswegs die Reichsdeputation, sondern das be-
stimmte Napoleon mit seinen guten Freunden, und zu ihm hin
drängte sich die ganze Reihe der deutschen Fürsten von altem Na-
men, um ein möglichst großes Stück aus seiner ruchlosen, raubaus-
spendenden Hand davon zu tragen. Und auch Preußen war mit
unter ihrer Zahl, das edle Preußen hatte sich auch so weit erniedrigt.
Es hatte freilich eine Entschädigung zu fordern für das klevische
Gebiet am linken Rheinufer, welches Napoleon auch zu Frankreich
geschlagen hatte. Das betrug etliche 40 Quadratmeilen, so viel wäre
also dem Preußenlande rechtmäßig wieder zugekommen. Es bekam
aber und nahm 240 Quadratmeilen, lauter geraubtes Gut, welches
den Bischöfen von Münster, Paderborn, Hildesheim, den Aebten von
Werden, Essen u. s. w. unversehens aus der Hand gerissen und ohne
auch nur einen Schein von Recht und Gerechtigkeit dem fremden Lan-
deöherrn übergeben wurde. Der gerechte Friedrich Wilhelm
war noch viel zu sehr befangen in der ländersüchtigen treulosen Politik
jener Zeiten, als daß er der Lockung hätte widerstehen können. Aber
wie schwer hat er nachher dafür büßen müssen! Er ist noch eine Stufe
tiefer abwärts gegangen. Die Neutralität des nördlichen Deutschland,
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Extrahierte Personennamen: Napoleon Napoleon Napoleon Friedrich_Wilhelm Friedrich Wilhelm
Extrahierte Ortsnamen: Deutschlands Deutschland Rheinufer Frankreich Paderborn Hildesheim Deutschland
636
Xxv. §. 11. Entwicklung neuer Gegensätze.
des im Kriege Zerstörten fingen sie an. Es mußte ja geeilt werden,
all den erlittenen Schaden wieder zu ersetzen. Da regte sich's in
allen den so lange versperrten Seehäfen mit tausend Händen, da be-
deckten die Waarenzüge wieder die Straßen, da wurden aller Orten
neue Verkehrswege eröffnet. Mit Steinstraßen und Chausseen, mit
Güterwagen und Schnellposten fing man an, bald schritt man (in
Deutschland seit 1836) zu Eisenbahnen und Dampfschiffen fort, und
wie im Umsehen bedeckten sich alle Meere, bedeckten sich alle Länder,
auch unser Vaterland mit jenen dampfenden Kolossen, und die Dampf-
kraft ward der Hebel aller neuen Unternehmungen. Da entstanden
die riesigen Bauten der Canäle, der Tunnels, der Viaducte, der Bahn-
höfe, der Schmelzereien und Brennereien und die Tausende von Fa-
brikgebäuden, die selbst die Militärcasernen noch an Größe, aber auch
an Einförmigkeit übertreffen. Und welch ein Lurus neben der zu-
nehmenden Verarmung in den großen Städten! Welche Prachtgebäude,
welche Malereien und Bildhauerwerke! Alle Künste und Kunstfertig-
keiten fingen an sich zu regen. Welch nie erlebter Glanz der Thea-
ter, der Concertsäle, der Bälle, der Ballette, der Vergnügungslocale
aller Art; welche Sehenswürdigkeiten wurden aller Orten zur Schau
gestellt! Bald sollten die großen Ausstellungen in den Hauptstädten
folgen, die in der Londoner und Pariser Weltausstellung gipfelten.
Dazu die jährlich sich mehrenden Versammlungen der Gelehrten, der
Sänger und Künstler und Schriftsteller, der Beamten, der Landwirthe,
der Industriellen, die immer neu sich drängenden Erfindungen — Gas-
erleuchtung, Lichtbilder, Schnellpresse, Schnellschreibekunst (Stenogra-
phie) und die wunderbare Entdeckung der elektrischen Telegraphen, mit
Allem, was sonst noch Neues und Wunderbares erfunden und in be-
schränkteren Kreisen zur Anwendung gebracht ist. Wozu die Welt
sonst Jahrhunderte gebraucht hätte, das wird jetzt in Jahrzehenden ge-
leistet. Die Zeit eilt, aber Niemand will merken, daß sie zum Ende
eilt. Das wohl verwaltete, mit väterlicher Sorgfalt regierte Preu-
ßen war in allen Unternehmungen, die zur Hebung des deutschen Gc-
sammtwohlstandes dienen konnten, voran. So wie in Preußen das
Schulwesen sammt Seminarien und Universitäten zur höchsten Ent-
wicklung gelangten, und Alles, was zur Erleichterung des Verkehrs
nöthig war, am ehesten durchgeführt wurde, so ging auch von Preu-
ßen die Idee des großen Zollvereins aus, welcher 1829 mit wenigen
süddeutschen Staaten geschlossen ward, nun aber schon ziemlich ganz Deutsch-
land uinsaßt und eine Großmacht in der Handelswelt geworden ist.—
Unter allen diesen Herrlichkeiten entwickelten sich jedoch sehr
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198 Xiv. §. 2. Ausbreitung der Römerherrschaft bis Klein-Afien (190).
schüttelt und waren wieder zu den altpersischen, roh asiatischen Zustän-
den zurückgekehrt. Fortan war Tigris und Eufrat die Grenzscheide
zwischen dem hellenistisch-römischen und dem asiatisch-orientalischen
Wesen für viele Jahrhunderte, bis zu den Zeiten Mohamed's.
Aber immer noch hatte das syrische Reich einen gewaltigen Um-
fang und Antiochus Hi., der durch seine Kriegsthaten sich den
Namen des Großen erwarb, zog noch immer über die Grenzen
seines Reiches hinaus mit seinen Kriegsheeren nach Indien, von
wo er sich seine Elephanten holte, gleich wie nach Griechenland
und Aegypten. Aegypten aber, das Reich gegen Mittag, war damals
übel berathen, denn sein König war ein Kind: Ptolemäus V.,
seit 204. Während sich nun die ägyptischen Großen um die Vor-
mundschaft stritten, benutzte Antiochus die Verwirrung und eroberte
den Theil von Syrien und Palästina, welchen bisher die Aegypter
besessen hatten (203). Da riefen die ägyptischen Großen in ihrer Roth
die schon weithin gefürchteten Römer um Hülfe an, und kaum hatten
diese den zweiten punischen Krieg geschlossen, so konnten sie schon den
Aemilius Lepidus als Obervormund des jungen Königs nach
Aegypten senden und durch ihn den eroberungssüchtigen Antio chus
warnen lassen, daß er es nicht wage, das von Rom bevormundete
Aegypten anzugreifen. Auf diese Weise kam der kriegsgewaltige An-
tiochus zuerst mit den Römern in Berührung und konnte nicht an-
ders, als sie gleich vom ersten Augenblick an hassen, weil sie ihm
Aegypten versperrten, welches er schon als sichere Beute betrachtet
hatte. Den gleichen Haß theilte mit ihm König Philipp von Ma-
cedonien, der mit dem Antiochus bereits einen Theilungsvertrag
über Aegypten geschlossen hatte. Wir sahen schon, wie Philipp sich
durch diesen Haß zu wiederholten Kriegen gegen die Römer hinrei-
ßen ließ. Aber in der Schlacht von Kynoskephalä 198 ward er
von ihnen gründlich gedemüthigt. Philipp stand bekanntlich an
der Spitze des vierten hellenistischen Reichs, Macedonien. Au-
ßer dem eigentlichen Macedonien hatte er auch Thessalien, Böo-
tien und die kleineren griechischen Staaten, die zum achäischen Bunde
vereinigt waren (Attica und den größern Theil des Peloponnes),
unter seiner Herrschaft vereinigt. Diese griechischen Besitzungen wur-
den ihm nach seiner Niederlage von den Römern genommen und für
frei erklärt. Eben so war auch den übrigen griechischen Staaten
(Sparta und dem ätolischen Bundesstaat) ihre Freiheit bestätigt.
Philipp's Nachbar, Antiochus, der die besten Stücke Klein-Asiens,
des seit 301 zersplitterten dritten hellenistischen Reiches, beherrschte, wollte
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Extrahierte Ortsnamen: Indien Griechenland Syrien Palästina Rom Macedonien Thessalien Sparta